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Es ist schon wieder zwei Monate her, dass ich bei der Montagsfrage mitgemacht habe. Aber heute muss ich dann doch auch noch meinen Senf zur Frage dazu geben:

Sollten Bücher, die sensible Themen behandeln, mit Trigger-Warnungen ausgestattet werden?

Eigentlich hatte ich erst gar nicht vor, meine Antwort in Post-Format auszuformulieren, weil mir die Antwort offensichtlich schien – klar, gute Idee! Und dann habe ich in die bisherigen Antworten reingeschaut und war sehr überrascht zu lesen, dass eher die Mehrheit dagegen war.

Da der Beitrag nun ziemlich lang geworden ist, gibt es ganz unten noch ein kurzes Fazit, falls jemand nicht alles lesen möchte.


Zu erst einmal finde ich es wichtig, dass klar definiert ist, was unter einem Trigger verstanden wird, was Antonia bereits sehr schön in ihrem Beitrag erklärt hat, weshalb ich sie hier einfach mal zitiere:

„Trigger – auch wenn manche Leute diesen Begriff mittlerweile politisch benutzen, wenn sie zum Ausdruck bringen wollen, dass jemand zu empfindlich ist – ist ein Begriff aus der Psychologie. Übersetzt heißt Trigger nicht vielmehr als Auslöser und genau das ist damit auch gemeint. Ein Trigger ist ein Auslöser dafür, entweder eine traumatische Erfahrung wieder zu erleben oder eine psychische Erkrankung, bei der man sich gerade im Heilungsprozess befindet, erneut aufflammen zu lassen.“

Kurz vorweg – mein Studium beinhaltet auch Psychologie-Vorlesungen, und da ich mich sehr dafür interessiere, hab ich auch weitere Bücher dazu gelesen und freiwillig weitere Psychologie-Vorlesungen besucht. Außerdem habe ich mich auch schon mit Menschen mit Traumata über genau dieses Thema, wenn auch nicht direkt im Bezug auf Bücher, unterhalten. Selber persönlich habe ich aber keine Erfahrungen mit Triggern, da ich glücklicherweise nie in einer Situation war, die ein Trauma ausgelöst hätte.

Um zu erklären, warum ich Trigger-Warnungen für Bücher für sinnvoll halte und keinen Grund sehe, diese nicht zu implementieren, habe ich meine Argumentation dazu mal in die Themen aufgeteilt, die andere als Gründe dagegen genannt haben / nennen könnten.


(1) Spoiler?

Spoilern die Warnungen denn nicht? Berechtigter Einwand, aber da gibt es ja Möglichkeiten, das zu verhindern. Trigger-Warnungen sind meistens sehr allgemein gehalten, und auch bei Büchern könnte man einfach auf der Rückseite des Buches oder im Innendeckel (+ online) einen Kasten mit ein paar Stichworten einführen, wie „sexuelle Gewalt“ oder „Drogenmissbrauch“. Dadurch weiß man noch lange nicht, was eigentlich passiert – und wenn man sich keine Gedanken um Trigger machen muss, muss man den Kasten ja auch nicht lesen.

Eine gute Möglichkeit fände ich hierfür, dass man den Kasten mit allgemeinen Begriffen auf / im Buch hat, und im besten Fall auf der Verlagsseite zum entsprechenden Buch genauere Informationen dazu, die man nur lesen kann, wenn man sie explizit anklickt. Dadurch würden versehentliche Spoiler vermeiden.

(2) Überflüssig? / „Brauche ich nicht“

Hier würde ich noch einmal auf die Definition oben verweisen und ein weiteres Mal Antonia zitieren, die Trigger nochmal genauer beschrieben hat:

„Triggern heißt nicht – und ich denke, es ist wichtig, das zu verstehen – dass man mit bestimmten Darstellungen unglücklich ist oder dass man ein bisschen traurig wird oder dass etwas unangenehm ist. Ein richtiger Trigger ist entweder sehr gefährlich (wenn er kranke Verhaltensweisen auslösen kann) oder lässt Traumata wieder durchleben (wenn auf Traumata bezogen).“

Es ist also nicht überflüssig, sondern eventuell sehr hilfreich und wichtig für die Gesundheit einer Person. Wenn du selbst die Trigger-Warnungen nicht brauchst, super! Das ist schön, denn das bedeutet, dass du keine (unverarbeiteten) Traumata hast. In diesem Fall kannst du die Warnungen ja einfach ignorieren.

(3) „Dann muss man die Genres halt vermeiden / sich vorher informieren“ / „Durch den Klappentext etc. weiß man doch schon, was drin vorkommt“

Ganze Genres deshalb vermeiden ist vielleicht auch blöd, könnte man aber natürlich machen. Nur dass manchmal Unerwartet Dinge in Büchern passieren, die nicht besonders typisch für das Genre sind und dauernd in entsprechenden Büchern vorkommen. Sich vorher informieren ist sicher auch eine gute Idee, aber ohne formale Trigger-Warnungen kann es sehr schwierig sein, entsprechende Infos zu finden, evtl. muss man hierfür etliche Rezensionen lesen, was Zeit kostet und, gerade durch das Fehlen der Trigger-Warnungen, zu Spoilern führen kann. Diesen ganzen Suchprozess könnte man ja vereinfachen und verbessern durch die Warnungen.

(4) „Dann legt man das Buch halt wieder weg“

Zu dem Zeitpunkt kann es aber leider durchaus schon zu spät sein. Natürlich ist es weniger plötzlich und unvermeidbar, entsprechende Inhalte mitzubekommen, als bei einer Serie oder einem Film, aber gerade Szenen mit Gewalt etc. tauchen auch in Büchern oft um des Effekts willens plötzlich und ohne Vorwarnung auf. Und je nach Stärke und Art des Traumas / Triggers reicht das dann schon für die Reaktion.

Und selbst wenn nicht – das Buch dann abbrechen zu müssen, ist auch einfach blöd, oder nicht? Schließlich könnte die Szene recht am Ende des Buches kommen, und bis dahin ist man bereits in die Story involviert, hat die Charaktere lieb gewonnen, will die Geschichte natürlich zu Ende lesen. Außerdem hat man das Buch gekauft und Geld dafür ausgegeben… könnte man ja alles vermeiden.

(5) „Es gibt so viele Arten von Traumata, wie soll man da denn die Grenze ziehen?“ / „Trigger-Warnungen sind sowieso nicht vollständig“ / „Da hat hinterher jedes Buch eine Trigger-Warnung“ / „Das ist viel zu umständlich“

Sicher alles richtig. Aber es gibt durchaus Möglichkeiten, manche davon werden ja sogar in anderen Medien oder Plattformen bereits verwendet. Vollständig sind diese zwar nie und man kann nicht jeden vor einem Trigger schützen, aber z.B. 70% vor einer schlimmen Erfahrung / Reaktion / einem Rückfall zu schützen, ist doch sicher besser, als wenn man niemanden schützt?

Zum Argument, dass dann hinterher (fast) jedes Buch Warnungen hat – mag sein! Aber wäre das denn ein Problem? Die Warnungen für die Bücher sind ja auch unterschiedlich, und jemand mit entsprechendem Trauma vermeidet ja nur die, die diesem entsprechen. Außerdem kann die Person das ja selber entscheiden, ob sie das Buch nicht trotzdem lesen möchte und das Risiko eingeht, einem möglichen Trigger zu begegnen.

Mögliche Ansätze gibt es einige – für Filme z.B. gibt es ja einen festen Satz an Warnungen, die eingeblendet werden / auf den DVD-Hüllen stehen, durch die vor grafischer Gewalt, Drogenkonsum etc. gewarnt wird. Ähnlich könnte man auch für Bücher eine feste Liste mit häufigen Triggern anlegen und kann entsprechend schnell diese für ein Buch auswählen. Hierzu hat Elli von Wortmagie auch vorgeschlagen, sich an „international anerkannten psychischen Krankheitsbildern des ICD-10 [zu] orientieren, die als triggeranfällig bekannt sind“, was ich für eine sehr sinnvolle Idee halte.

Und auch sonst – Trigger-Warnungen sind vor allem Online bereits auf so vielen Plattform einfach teil des Umgangs miteinander – bei YouTube Videos werden sie oft kurz vorher eingeblendet, auf Tumblr werden Posts entsprechend getaggt, auf Facebook habe ich es auch schon oft genug gesehen, dass einem Post eine Trigger-Warnung vorangestellt wurde, im Bereich der Fanfiction wird sowieso immer gewarnt, etc.

Und auch im „echten Leben“ werden sie oft verwendet – so war ich schon oft genug in einer Vorlesung, in der der Dozierende vor einer Folie auf folgenden Inhalt hingewiesen hat, sodass man erstens die Möglichkeit hatte, kurz den Raum zu verlassen / die Augen zu schließen / sich die Ohren zu zuhalten, oder zumindest vorbereitet war.

Ich bin mir sicher, wenn wir das bei Büchern auch einführen würden, wäre es einfach innerhalb kurzer Zeit ganz normal und niemand würde sich mehr Gedanken drum machen.

(6) „Ist die Trigger-Warnung nicht selbst ein möglicher Trigger?“

Guter Einwand! Es gibt inzwischen ein paar Studien dazu, wie das u.a. das Stress-Level beim Lesen eines Textes mit entsprechend möglicherweise aufwühlenden Inhalten durch Trigger-Warnungen beeinflusst wird. Bisher sind die Ergebnisse der Studien aber sehr uneindeutig, fallen sehr gering aus, sind gar nicht signifikant, oder widersprechen sich. Manche Studien haben ergeben, dass die Warnungen das Stress-Level tatsächlich zunächst erhöhen, aber die nachfolgenden Bewältigungsmechanismen besser angewendet werden können. Eine Reaktion auf die Warnung selbst (im Sinne von Flashbacks etc.) scheint aber eher unwahrscheinlich zu sein.

(7) Solche Inhalte sind aber doch auch gut, Literatur muss auch Regeln brechen, Tabuthemen ansprechen, etc

Sehe ich genauso, aber das hat ja nichts damit zu tun – manche Themen lösen eben trotzdem bei manchen Personen aufgrund von Traumata schlimme Erinnerungen oder alte schädliche Verhaltensweisen aus, und Trigger-Warnungen helfen, dass diese Menschen genau diese Bücher vermeiden können. Dem Rest steht es ja frei, weiterhin Bücher mit allen Arten von Themen zu schreiben und zu lesen.

(8) „Hilft das nicht sogar dabei, das Trauma zu überwinden, wenn man mit dem Thema konfrontiert wird?“

Das ist etwas, dass in einem sicheren Setting mit ausgebildeten und dafür geschulten Psychologen durchgeführt werden sollte. Im Zuge meiner Recherche habe ich diesen interessanten und lehrreichen Artikel zu Trigger-Warnungen in Büchern gefunden, von einer Psychologin und Autorin, und sie vergleicht dies mit einem trockenen Alkoholiker, und dass hier wohl niemand auf die Idee käme, dieser Person heimlich Wein einzuschenken, damit sie lernt, Alkohol kontrolliert zu konsumieren.


Fazit:

Trigger-Warnungen (oder neutraler: Content Notes) haben das Potenzial, Menschen mit Traumata dabei zu helfen, Inhalte zu vermeiden, die bei Ihnen Flashbacks oder andere negative und gesundheitsschädliche Reaktionen auszulösen. Es gibt gute Möglichkeiten, diese Warnungen auszuwählen und auf Büchern zu platzieren, ohne dass sie negative Konsequenzen für andere Leser haben – von daher: Ja, ich fände Trigger-Warnungen nach einem festgelegten System sehr gut – wen es nicht betrifft, der muss sie ja nicht lesen.


Ergänzender Hinweis zu einem bereits existierendem System:

Es gibt eine Webseite namens „Does the dog die?“. Diese entstand ursprünglich für genau diese eine Frage, und es wurden Film aufgelistet, in denen eben ein Hund stirbt, sodass beispielsweise Menschen, deren Hund gerade gestorben ist, vorgewarnt sind. Daraus entwickelt hat sich eine sehr umfangreiche Seite mit vielen Kategorien, sodass man hier nun entweder Filme und Serien nachschlagen kann und sehen kann, welche möglichen Trigger hier zutreffen, oder nach eigenen bekannten Triggern suchen kann und eine Liste mit Filmen und Serien bekommt, in denen dieser vorkommt. Hierfür gibt es ebenfalls eine Version für Bücher – wie auch die für Filme etc. durch die Community erstellt, auf englisch und lange nicht allumfassend, aber durchaus sehr hilfreich, wenn man sich eines eigenen Triggers bewusst ist.